Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Unsere Leistung
bestimmt unseren Wert und deshalb bestimmt sie auch unser Leben. Alles muss
sofort, schnell aber trotzdem fehlerfrei passieren. Wir müssen funktionieren.
“Funktionieren”, wie Maschinen. Maschinen brauchen keine Pausen, müssen nicht
mal durchatmen oder mal den Kopf frei bekommen. Also erlauben wir uns das auch
nicht. Mit der Folge, dass wir von allem, was um uns herum geschieht, gar
nichts mehr mitbekommen, uns von Wochenende zu Wochenende hangeln und
sonntagabends beim Gedanken an die neue Arbeitswoche verzweifeln. Die
Häufigkeit von psychischen Erkrankungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren
beinahe verdoppelt. Eine Begleiterscheinung der Beschleunigung. Als Betroffene
oder Gefährdete können wir uns nun Selbstvorwürfe wegen unserer “Schwäche”
machen. Oder wir können etwas ändern.
Die Frage ist : Wie gehen wir mit uns selbst um?
Was in unserem rasend schnellen und leistungsorientierte
Alltag in der Regel auf der Strecke bleibt, ist ein bewusster Umgang mit uns
selbst. Dabei beeinflusst die Art und Weise, wie wir mit uns selbst umgehen, zu
einem enormen Teil unsere Gefühle. Aber die meisten von uns machen sich wenige
oder gar keine Gedanken darüber, wie sie sich selbst behandeln. Stattdessen
geschieht dieser Umgang durch unbewusst eingeübte und nun automatisch
ablaufende Programme, die bestimmen, wie wir auf unsere Handlungen (und Nicht-Handlungen)
reagieren, wie wir gedanklich mit uns selbst sprechen und inwieweit wir auf
unsere Bedürfnisse eingehen. Leider sind auch diese über Jahre hinweg erlernten
Programme durch die Leistungsgesellschaft geprägt: nach einem Fehler tendieren
wir eher zu Selbstkritik als dazu, uns zu trösten, unserer innerer Monolog
besteht oft aus Vergleichen mit anderen und unsere eigenen Bedürfnisse haben
niedrigere Priorität als die Erwartungen des*der Chef*in oder anderer Personen.
Wir behandeln uns selbst wie Dreck und sind uns dessen nicht einmal bewusst!
Meine eigenen Erfahrungen
Wie sieht es bei mir persönlich in Bezug auf einen achtsamen
Umgang mit mir selbst aus? Ich schaffe es in der Regel auf meine Bedürfnisse zu
achten, wenn ich den Kopf dafür frei habe. Aber sobald es stressig wird und ich
viel zu tun habe, pushe ich mich viel zu weit, was ich aber währenddessen gar
nicht bemerke. Erst wenn der Stress sich wieder beruhigt hat, merke ich, wie
viel Energie ich verloren habe. Dann falle ich in ein Loch, wo ich mich auch
nicht sonderlich gut um mich kümmere, allerdings im anderen Extrem: den ganzen
Tag im Bett verbringen und sinnlos am Handy scrollen, ungesunde Ernährung mit
viel Süßigkeiten, viel zu wenig trinken, zu wenig Schlaf… die Liste ist lang.
Meine schlimmsten Angewohnheiten in punkto (mangelnde) Selbstfürsorge sind:
- unausgewogene Ernährung
- zu wenig trinken
- zu wenig Schlaf
- ein Teufelskreis aus Prokrastination und Selbstvorwürfen
- das Haus nicht zu verlassen, obwohl mir frische Luft immer gut tut
- soziale Isolation
Dabei wäre es gerade für mich als Hochsensible besonders wichtig,
auf einen bewussten Umgang mit meinen Grenzen und Bedürfnissen zu achten, da
das Fass der Reizüberflutung und Überforderung bei mir deutlich früher
überläuft als bei vielen anderen!
Was ist ein achtsamer Umgang mit sich selbst und warum ist er wichtig?
Meinem persönlichen Verständnis nach bedeutet ein achtsamer
Umgang mit mir selbst, dass ich aufmerksam beobachte, wie es mir geht - sowohl
psychisch als auch körperlich. Denn Gefühle und körperliche Empfindungen sind
verlässliche, wenn auch nicht immer eindeutige Hinweise darauf, wie gut es mit
dem Beachten meiner Bedürfnisse und Grenzen gerade so läuft. In der Regel gibt
es bei mir einen direkten Zusammenhang:
- müde à ungeduldig und reizbar oder quengelig à unnötige Konflikte à schlechtes Gewissen
- hungrig à unkonzentriert und schnell abgelenkt à unzufrieden mit mir selbst à Selbstvorwürfe
- zu wenig getrunken à Kopfschmerzen
Und so weiter. Aber allein, diese Zusammenhänge erkannt zu
haben, ist schon ein Zeichen eines bewussteren Umgangs mit mir selbst und ein
wichtiger erster Schritt. Was jetzt noch dazu fehlt, so oft wie möglich achtsam
mit mir selbst zu sein, ist Übung. Denn die automatischen Programme müssen ja
bemerkt, gestoppt und durch hilfreicheres, fürsorglicheres Verhalten ersetzt
werden.
Yep, das klingt mühsam und langwierig. Aber es lohnt sich.
Denn wir verbringen ja 24 Stunden täglich mit uns selbst. Und wenn das ständig
kritisierende und herumkommandierende Selbst gefeuert werden und ein
mitfühlendes, verständnisvolles Selbst an seine Stelle treten kann, wird diese
Gesellschaft mit Sicherheit deutlich angenehmer.
Wie kann man achtsamer mit sich selbst umgehen?
Sich selbst kennen lernen
Eine einfache Methode, achtsamen Umgang mit sich selbst zu
üben, die ich auch gerade ausprobiere, ist, mehrmals am Tag kurz innezuhalten
und mir ein paar Fragen zu stellen:
- Was fühle ich gerade?
- Was empfindet mein Körper?
- Was nehmen meine Sinne wahr?
- Was denke ich gerade über mich?
- Wie behandle ich mich gerade?
- Welchen Einfluss hat das, was ich gerade tue? Tut es mir gut oder nicht?
So lerne ich mich jedes Mal ein wenig besser kennen und
verstehe, wie ich in bestimmten Situationen reagiere und warum, was mir gut tut
und was nicht, in welchen Situationen ich besonders dazu tendiere, mich nicht
gut zu behandeln. Wichtig ist hier auch, mich für unfürsorgliches Verhalten
nicht zu verurteilen!
Offline gehen und Stille genießen lernen
Ein Spaziergang ohne Podcast im Ohr. Ein Frühstück ohne
Nachrichtenwebseiten. Mittagspause ohne Social Media oder YouTube. Ein Abend
ohne Netflix. Dies sind ein paar Wege, wie ich ab und zu die Flut der
Informationen und Eindrücke ein wenig eindämme, mit der wir Tag für Tag
überschwemmt werden und die mich nicht selten überfordert.
Die eigene Zeit wertschätzen lernen
Noch bin ich furchtbar schlecht im Neinsagen. Deshalb finde
ich mich noch allzu oft in der Gesellschaft von Menschen oder bei Tätigkeiten,
auf die ich - zumindest in dem Moment - eigentlich keine Lust habe. Ich rede
mir ein, dass ich dadurch hilfsbereit bin, eine engagierte Mitarbeiterin, eine
gute Freundin. Aber was ich so eigentlich sage, ist: meine Zeit und meine
Energie sind mir so wenig wert, dass jede*r zu jeder Zeit Anspruch darauf
erheben kann. Jede*r außer mir selbst, für Dinge, die ich nur für mich tue,
oder einfach auch mal zum Nichtstun. Zu groß ist die Angst, andere zu
enttäuschen und ihre Erwartungen nicht zu erfüllen. Aber ich enttäusche mich
dadurch regelmäßig selbst und habe meine Bedürfnisse schon so oft ignoriert, dass
ich inzwischen gar nicht mehr von mir erwarte, auf sie einzugehen. Aber ich
kann nicht immer alles für andere tun und nur dann etwas für mich selbst, wenn
ich für alles andere zu erschöpft bin. Denn welche Botschaft sende ich mir so
denn immer und immer wieder? Dass ich der letzte Mensch bin, der meine eigene
Zeit wert ist. Nicht gerade hilfreich für das Selbstwertgefühl!
Sich Zeit zum Entspannen nehmen
Gerade wenn ich viel zu tun habe, kommen die Dinge, die ich
gerne und einfach so zum Spaß tue, in der Regel zu kurz. Aber diese Dinge sind
wichtig! Denn sie schaffen einen Ausgleich zu den Gedanken an Probleme,
Pflichten, “Baustellen” im Leben. Und nur wenn alle Bereiche des Lebens einen
(einigermaßen) ausgeglichenen Anteil meiner Aufmerksamkeit bekommen, fühle ich
mich wirklich in Balance und finde Ruhe. Weil ich eine Meisterin der
Selbstsabotage bin, sind die ersten Bereiche, die in hektischen Zeiten liegen
bleiben, ausgerechnet die Bereiche, die für mein Wohlbefinden am wichtigsten
sind: Bewegung und Zeit in der Natur, ausreichend Schlaf und gesunde Ernährung.
Gerade die ersten beiden Punkte sind aber wichtig, damit ich mich entspannen
kann - und Entspannung führt wiederum zu besserer Konzentration und
Arbeitsfähigkeit.
Das alles klingt äußerst logisch für Gegenwarts-Cora, aber
damit Zukunfts-Cora in der nächsten Klausurenphase daran denkt, muss sich
Nahe-Zukunfts-Cora an die eigenen Tipps aus diesem Post halten. Wünschen wir
ihr viel Erfolg dabei! Und natürlich auch allen anderen, die versuchen wollen,
ein wenig achtsamer und fürsorglicher mit sich umzugehen.
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